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ZEIT LEO Ausgabe 4/2023

Gut gebrüllt, Löwe!

Was bedeuten seine Rufe? Das will ein Forscher in Namibia herausfinden.

Text: Annika Brohm / Fotos: Tara Mette

Der Löwe brüllt aus voller Kehle. Ein-, zwei-, dreimal dröhnt sein Ruf durch die Savanne. Ein paar Vögel im Gebüsch zwitschern aufgeregt und fliegen davon. Jetzt geht das Brüllen in ein kurzes, abgehacktes Bellen über. Der Löwe reißt den Rachen weit auf, sein mächtiger Brustkorb bebt bei jedem Atemzug.

Unterwegs in Namibia

Keine 50 Meter entfernt sitzt Forscher Ruben Portas in seinem Geländewagen. Mit seiner Kamera hält er die Szene fest, dann macht er sich Notizen zum Verhalten des Löwen. Daneben schreibt er die Uhrzeit auf: Es ist Viertel vor sieben am Abend. »Der Löwe scheint auf der Suche nach seinem Rudel zu sein«, erklärt Ruben. Wenig später brüllt das Männchen noch einmal. Ruben vermutet, dass es ruft: »Wo seid ihr? Ich bin hier, treffen wir uns!«
Ruben hat sich schon in seinem Studium mit dem Schutz von großen Raubkatzen beschäftigt. Seit 2022 erforscht er die Sprache der Löwen im Etoscha-Nationalpark in Namibia in Afrika. Rund 400 Raubkatzen leben in diesem Schutzgebiet, dort haben sie genug Platz und finden Beute. Außerhalb der Schutzgebiete bekommen die Löwen Probleme mit den Menschen. Die Löwen fressen die Kühe und Schafe der Bauern, und die Bauern jagen dann die Löwen. Könnte man die Löwen besser verstehen, denken Ruben und sein Team, würde man vielleicht Lösungen finden, mit denen Menschen und Tiere besser zusammenleben.
»Vielleicht«, sagt Ruben, »liegt der Schlüssel darin, dass wir die Sprache der Löwen nutzen.« Dann könnten sie den Tieren zum Beispiel sagen, dass sie die Weiden der Bauern nicht betreten dürfen. Um die Löwensprache zu untersuchen, haben Ruben und sein Team 16 Löwen mit Halsbändern ausgestattet. In jedem Halsband sind ein GPS-Sender, ein Bewegungssensor und ein Mikrofon. So können die Forscher überwachen, wo die Löwen sich aufhalten und wie sie sich bewegen. Außerdem können sie alle Geräusche aufnehmen, die die Löwen und ihre Umgebung machen.

Am nächsten Tag verlässt Ruben schon bei Sonnenaufgang sein Forschungslager. Bevor er in seinen Geländewagen steigt, wirft er einen Blick auf sein Handy: Er hat neue Bewegungsdaten von den Löwen erhalten. Ein Punkt und ein paar Linien auf einer Karte zeigen ihm, dass eines der Rudel gerade auf dem Weg zum Wasserloch ist. Ruben startet den Motor. »Da fahren wir jetzt gleich mal hin«, sagt er.
Ruben möchte herausfinden: Wann und wie sprechen die Tiere miteinander? Und was bedeuten die verschiedenen Brülllaute der Löwen? »Wenn ein Männchen sein Revier verteidigt, dann kann das ganz anders klingen, als wenn Mitglieder eines Rudels nacheinander rufen«, erklärt er, während er seinen Geländewagen über die Schotterstraßen lenkt. Alles zu verstehen ist eine schwierige Aufgabe.
Um das zu schaffen, setzen er und sein Team auch künstliche Intelligenz ein: Sie lassen die Tonaufnahmen und Bewegungsdaten von Computerprogrammen auswerten. Die Computerprogramme sollen schon bald unterscheiden können, ob ein Löwe gerade brüllt, gähnt, rennt, isst oder trinkt. Als Nächstes sollen sie dann lernen, was die verschiedenen Geräusche und Bewegungen der Tiere miteinander zu tun haben. Irgendwann einmal, hofft Ruben, können sie die meisten Verhaltensweisen der Löwen richtig erkennen und den Forschern viel Arbeit abnehmen. Doch so weit ist es noch nicht. Deshalb fährt Ruben heute wieder selbst zu den Löwen. Er nutzt seine eigenen Augen und Ohren, um die Computerprogramme zu trainieren. Er hat zum Beispiel beobachtet: »Wenn ein Löwe gerade ein Tier erlegt hat, antwortet er seltener auf das Rufen seiner Rudelmitglieder. Für mich sieht es so aus, als wollte er seine Position nicht verraten und erst mal allein essen.«

Rubens Wagen holpert vorbei an Akazienbäumen, Springböcken und Zebras. Er will das Rudel finden, nach dem der einzelne männliche Löwe am Vortag gebrüllt hat. Endlich kommt er am Wasserloch an. Und tatsächlich: Zwei Löwenweibchen lagern dort und starren Ruben mit ihren honigfarbenen Augen an. Nicht weit entfernt liegen zwei junge Löwen – und das Männchen, das am Abend zuvor noch allein unterwegs gewesen war. »Er hat sie also tatsächlich gesucht – und gefunden «, sagt Ruben, während er Notizen macht. Eine Weile lang beobachtet er die Familienszene: Die jungen Löwen spielen, beißen einander in den Schwanz. Die älteren lassen sich nicht stören. Sie liegen träge herum.
»Ich könnte den Löwen ewig zuschauen«, schwärmt Ruben, »am meisten beeindruckt mich ihre Kraft.« Außerdem seien sie wichtig für die Savanne. »Sie machen Jagd auf schwache und kranke Tiere. So bleibt das Leben dort im Gleichgewicht.« Deshalb will er die großen Katzen schützen – und dafür muss er noch viele Daten sammeln. Ruben wirft einen letzten Blick auf die Tiere, dann fährt er wieder los, zum nächsten Rudel.

Dieser Löwe ist müde – und trotzdem noch sehr laut!
Hat das Löwenmännchen sein Rudel verloren?
Die Antenne empfängt Daten der Löwen-Halsbänder
Ruben und sein Kollege untersuchen Tierspuren. / Die Löwenfamilie hat es sich am Wasserloch gemütlich gemacht.
Der Löwenpapa ist wieder bei seinem Rudel.
Ruben wertet die Daten mit einem Computerprogramm aus.
Ruben wertet die Daten mit einem Computerprogramm aus.

 

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