zeit.de

ZEIT LEO  Ausgabe 2/2023

Die doppelte Lucy

Im Film »Lucy ist jetzt Gangster« teilen sich Zwillinge die Hauptrolle. Wie klappt das?

Text: Katja Bosse

»Du bist jetzt Gangster, du schaffst das!« Violetta guckt extra grimmig in die Kamera, während sie ihren Text spricht. Übers Gesicht hat sie rote Leggings mit zwei Löchern für die Augen gezogen, von ihrem Kopf baumeln die Strumpfbeine. Sie steht in einer Kleinstadt in der Nähe von Stuttgart in einem Gebäude, das wie eine Bank aussieht. Hier wird der Film »Lucy ist jetzt Gangster« gedreht. Violetta spielt die Lucy, die gerade versucht, eine Bank zu überfallen.
Sie zieht sich die Leggings vom Kopf. »Puh, da kriegt man ja noch weniger Luft als unter einer Corona-Maske!«, sagt sie und lässt sich auf ein Sofa plumpsen, das am Rand steht. »Willst du was trinken?«, fragt eine Frau und reicht ihr sofort eine Wasserflasche. Die Frau ist Kinder-Coachin. Sie sorgt dafür, dass Violetta sich mit ihren 10 Jahren nicht überanstrengt.

ZEIT Leo 2/2023

Schauspielen ist harte Arbeit, und Kinder dürfen nicht länger als drei Stunden am Tag vor der Kamera stehen. Die Kinder-Coachin notiert, wann Violetta morgens kommt, und passt auf, dass sie nur bis zur Mittagspause bleibt. Für die Filmfirma ist das nicht so praktisch, denn jeder Drehtag kostet viel Geld. Deshalb hat die Firma einen Trick überlegt: Sie hat nicht nur Violetta, sondern auch deren Zwillingsschwester Valerie für die Rolle gebucht.

Valerie ist ebenfalls 10 Jahre alt, sie hat die gleichen blonden Haare und das gleiche verschmitzte Lachen wie Violetta, bestätigt die Kinder-Coachin. Ihr Kostüm liegt am Set bereit: ein grauer Rock und rote Kniestrümpfe, wie Violetta sie gerade trägt.
Valerie selbst ist aber noch nicht da. Während Violetta dreht, hält sie sich mit der Mutter der beiden in dem Ferienapartment auf, das sie während der achtwöchigen Drehzeit bewohnen. Dort lernt sie den Text für die nächsten Szenen auswendig und macht ihre Schularbeiten. Die Mädchen müssen regelmäßig ihre Aufgaben im Schulportal hochladen. Das hat die Schule zur Bedingung dafür gemacht, dass die beiden drehen dürfen.

Violetta fläzt sich aufs Sofa und erzählt: »Von dem Casting für den Film haben wir durch unsere Schauspielschule erfahren. Wir dachten erst, wir sollen Zwillinge spielen! Wie wir uns eine Rolle teilen sollen, konnten wir uns erst gar nicht vorstellen. Inzwischen finden wir es aber praktisch, dass wir Zeit zum Ausruhen haben.«
Fällt das den Zuschauern später nicht auf, wenn zwei Mädchen im Film die gleiche Person spielen?
»Nicht, wenn die Maskenbildnerinnen richtig gut aufpassen«, sagt Violetta und grinst. »Valerie hat ein Muttermal links oben an der Stirn. Als wir die allererste Szene gedreht haben, hatten sie dann aber vergessen, mir das auch aufzumalen ...«

Die Kinder-Coachin legt Violetta eine Hand auf die Schulter. »Kann’s weitergehen?«, fragt sie. Violetta nickt. Die Maskenbildnerin zupft ihre zerstrubbelten Zöpfe zurecht, dann tritt Violetta wieder vor die Kamera. Zwei Gestalten im Pandakostüm stürmen jetzt auf sie zu und zücken ihre Pistolen. Sie wollen auch die Bank überfallen! Violetta als Lucy stellt sich ihnen entgegen.
»Die selbstbewussten Szenen kann Violetta am besten«, flüstert die Kinder-Coachin. »Valerie kommt dafür besonders lieb und brav rüber.« Das ist praktisch, denn die Lucy im Film hat tatsächlich unterschiedliche Temperamente: Zu Beginn ist sie ehrlich, höflich und immer gut gelaunt. Doch dann erfährt sie, dass die Eisdiele ihrer Eltern kurz vor dem Ruin steht. Da beschließt sie, frech zu werden. Den Text für die Rolle haben trotzdem beide Mädchen komplett auswendig gelernt. Denn nicht immer können die Zwillinge genau so eingesetzt werden, wie es vorher geplant war: »Valerie hat mal vom Haarspray einen Ausschlag im Gesicht bekommen«, erzählt die Coachin. »Da musste Violetta schnell für sie einspringen.«
Violetta ist inzwischen anzumerken, dass sie müde wird. Gerade hat sie vergessen, ihren Arm vorzustrecken, so wie der Regisseur das für die nächste Szene möchte. Sie soll das Ganze noch mal wiederholen. Die Coachin nickt Violetta aufmunternd zu, dann blickt sie auf die Uhr. Nach der Szene ist Zeit für die Mittagspause – und für den Schwesternwechsel.

Zurück

ZEIT LEO testen!

Geschichten, Rätsel und Mitmach-Ideen — das alles steckt in ZEIT LEO, dem Magazin für Kinder ab 7 Jahren.

Jetzt testen!

 

© ZEIT LEO | Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG | +49 40 32 80 0 |