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DIE GROSSE ZEIT LEO-EXPEDITION

Polarforscherin Stefanie Arndt
Polarforscherin Stefanie Arndt

Forscherinnen-Tagebuch

112 Tage war die Polarforscherin Stefanie Arndt in der Antarktis, hier berichtet sie von ihrer Arbeit.

8. Februar 2023
Der Südpol-Zirkus
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt / Der rote Pistenbully zieht Container und Schlitten

Endlich ist das Warten vorbei! Am 1. Februar habe ich zusammen mit meinem Kollegen Martin und sieben anderen Forscherinnen und Forschern die Neumayer-Station verlassen und mich auf den Weg Richtung Südpol gemacht. Als ich im November hier in der Antarktis angekommen bin, war ich darauf eingestellt, sechs Wochen im Eis zu verbringen. Doch das Wetter war zu schlecht, wir mussten unsere Pläne immer wieder ändern. Nun sind wir endlich unterwegs.

Als wir an der Forschungsstation aufgebrochen sind, hätte man auch denken können: Da fährt ein Zirkus zum Südpol. Weil wir etwa 100 Kilometer von Neumayer entfernt ein Camp im Eis aufbauen, haben wir Wohn- und Schlafcontainer dabei, eine riesige Kühlbox mit Vorräten, Forschungsgeräte, Schneemobile, Generatoren für Strom, sogar eine Art Mini-Tankstelle für die Fahrzeuge. Alles steht auf Kufen oder wurde auf Schlitten geschnallt und zu drei Zügen verbunden. Jeder wird von einem Pistenbulli gezogen. So sind wir mit sagenhaften 13 Stundenkilometern losgezockelt. Man braucht Geduld als Forscherin!

Knapp drei Wochen bleiben uns nun noch für unsere Arbeiten im Eis. Wir wollen mehr darüber herausfinden, wie sich die Eismassen am Südpol bewegen. Bisher weiß man darüber noch nicht so viel. Wie schnell fließt das Landeis Richtung Meer? Welche Kräfte wirken darin? Das Camp schlagen wir dafür an der sogenannten grounding -line auf – das ist der Punkt, an dem Land unter dem Eis liegt. Wir werden unterschiedliche Messungen machen. Vor uns haben andere Forscher zum Beispiel Seismometer verbuddelt. Mit denen misst man sonst Erdbeben, hier wurden damit Eisbeben aufgezeichnet.

Martin und ich wollen außerdem unsere Schneemessungen abschließen. Auf einer Strecke von rund 400 Kilometern Richtung Südpol lesen wir an Stangen die Schneehöhen ab. Die ersten 100 Kilometer haben wir im Januar bereits abgefahren, dann mussten wir umdrehen, weil ein Sturm aufzog. Wenn man bei solchem Wetter in einem Zelt festsitzt, kann das echt ungemütlich werden.

Schlechtes Wetter kann uns natürlich auch jetzt erwischen, aber im Camp können wir das gut aussitzen – oder abwettern, wie wir sagen. In den Wohncontainern sind wir geschützt, wir haben sogar eine Küche und eine kleine Dusche. Zwei meiner Kollegen wollen zwar die ganze Zeit draußen im Zelt schlafen, aber ich wette, wenn der Wind zu doll pustet, ziehen die schnell bei uns ein. Oder was würdet ihr tun?

Eure Polarforscherin Steffi

Wie sich Landeis, Meereis und Schelfeis unterscheiden und welche Farbe das Eis hat?
Das wollten einige von euch wissen. Steffis Antworten liest du hier.

19. Januar 2023
Eisfußball und Bananen
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt / Antarktis-Lieferdienst

Als Forscherin in der Antarktis muss ich eins besonders gut können: meine Pläne umschmeißen. Eigentlich wollte ich euch heute davon erzählen, wie meine Expedition mit dem Zelt ins Eis war. Etwa zehn Tage wollte ich mit meinem Kollegen Martin für Schneemessungen rund 400 Kilometer Richtung Südpol fahren. Tja, daraus wurde nichts. Es gab nämlich eine Sturmwarnung. Ihr erinnert euch: Das Wetter ist in der Antarktis der Bestimmer. Unsere Arbeit mag wie ein großes Abenteuer wirken, wir würden uns aber nie in Gefahr bringen. Deshalb sind wir am letzten Gut-Wetter-Tag losgedüst, haben die Messungen auf den ersten hundert Kilometern gemacht und sind direkt zurückgefahren. Nach 18 Stunden waren wir wieder auf der Neumayer-Station.

Etwas anderes lief zum Glück genau nach Plan: Die Polarstern, unser deutscher Eisbrecher, hat Vorräte und Treibstoff für das ganze Jahr gebracht. Das Schiff kann nicht bis zur Station fahren, denn die steht ja nicht direkt an der Wasserkante. Deshalb haben wir mehrere Tage lang die Container mit unseren Schneeraupenfahrzeugen übers Eis zur Station gebracht und dort die Vorräte in den Gefrierschränken verstaut. Das Beste haben wir zum Schluss ausgepackt: frisches Obst und Gemüse. Das wurde in Kapstadt in Südafrika eingeladen. Ihr glaubt nicht, wie ich mich über die erste Banane gefreut habe!

Toll war auch, dass es wieder ein Fußballspiel auf dem Eis gab. Team Neumayer kickt gegen Team Polarstern – das ist eine Tradition. Aber wegen Corona konnte in den vergangenen Jahren nicht gespielt werden. Es lag genug weicher Schnee auf der Eisfläche, sodass es nicht allzu rutschig war. Ums Gewinnen geht’s bei dem Match übrigens nicht, ich weiß nicht einmal, wie viele Tore gefallen sind.

Nach dem Besuch der Polarstern wurde es festlich. Das alte Überwinterungsteam hat die Station offiziell an das neue übergeben. Jetzt, im antarktischen Sommer, sind viele Forscher hier. Das gesamte Jahr verbringt aber nur eine kleine Mannschaft von neun, zehn Leuten auf der Station. Sie harren auch noch aus, wenn es im antarktischen Winter 24 Stunden lang dunkel ist. Deshalb nennen wir sie das Überwinterungsteam.

Der Tag, an dem das alte Team an das neue übergibt, ist hier ein wichtiges Ereignis – mit Reden und einem tollen Essen. Dafür haben wir uns alle so schick angezogen wie an Weihnachten. Inzwischen hab ich aber längst wieder meine Wollunterwäsche an und bin eifrig dabei, neue Pläne zu machen. Wir wollen die Messungen im Eis ja noch weiterführen. Wünscht mir also viele sturmfreie Tage!      

5. Januar 2023
Eisspalten-Training und Pullerflaschen

Mit dem neuen Jahr rückt mein bisher größtes Expeditions-Abenteuer näher. In wenigen Tagen werde ich mit meinem Kollegen Martin zu einem besonderen Einsatz aufbrechen: Etwa zehn Tage lang werden wir von der Neumayer-Station aus rund 400 Kilometer Richtung Südpol fahren. Schlafen werden wir in einem Zelt auf dem Eis. Alles, was wir brauchen, packen wir in ein Ballonreifenauto mit Anhänger und auf ein Schneemobil.

Bisher habe ich nur zweimal eine einzelne Nacht auf dem Eis gezeltet, Martin hat das noch nie getan. Das wird also für uns beide eine aufregende Reise. Dort draußen werden wir ganz auf uns gestellt sein. Einmal am Tag melden wir uns per Satellit bei der Station, um zu berichten, wie es uns geht, und um den neuen Wetterbericht zu bekommen.

In den vergangenen Tagen haben wir einige spezielle Dinge trainiert. Unser Weg Richtung Südpol führt bergauf, etwa 1500 Meter in die Höhe. In diesem Gebiet gibt es hier und da Spalten im Eis, die gefährlich werden können. Jedenfalls sollte man wissen, wie man da wieder herauskommt. Dafür packen wir Sicherheitsgurte und lange Seile ein, und mit denen haben wir auch schon geübt – sich allein aus einer Eisspalte zu befreien genauso wie dem anderen zu helfen. Ich hoffe, wir fallen erst gar nicht irgendwo hinein, aber wenn doch, dann fühle ich mich jetzt zumindest gut vorbereitet.

Und dann haben wir noch eine andere verrückte Sache gemacht: Wir haben uns mit dem riesigen Auto absichtlich im Schnee festgefahren. Dieses große Ballonreifenfahrzeug nehmen wir mit, weil man damit gut auf Schnee und Eis fahren kann. Und wenn es so stark stürmt, dass wir nicht im Zelt schlafen können, werden wir darin übernachten. Allerdings bleibt man mit diesem Super-Auto auch gern mal stecken. Und weil wir ja mitten in der Antarktis keine Pannenhilfe und keinen Abschleppdienst rufen können, mussten Martin und ich üben, das Auto zu zweit wieder freizubekommen. Beim Training hat es geklappt. Mal sehen, ob wir es da draußen im Eis noch mal schaffen müssen.

Wir werden jedenfalls oft anhalten und wieder losfahren müssen. Denn unser Auftrag ist, etwa alle 500 Meter die Schneehöhe zu messen. Vor uns haben Kollegen Stangen in den Schnee gesteckt und gemessen, wie weit sie heraus-gucken. Regelmäßig fahren nun Forscher wie wir von Stange zu Stange und schauen, wie viel von denen noch zu sehen ist. So wissen wir, wie viel Schnee dazugekommen ist. Einige Stangen werden gar nicht mehr zu sehen sein, da stecken wir neue in den Schnee.

Das Leben auf dem Eis wird sehr einfach. Ich rechne damit, dass ich mich die zehn Tage gar nicht umziehe, sondern immer meine Wollunterwäsche anbehalte. Wenn ich abends in meinen Schlafsack krieche, ziehe ich die dicken Schichten darüber aus. Wechselkleidung nehme ich nur mit, falls etwas nass werden sollte. Auch das Essen wird schlicht, ein bisschen so wie beim Camping. Wir nehmen viel Müsli und Milchpulver mit fürs Frühstück und als Mittagessen. Abends machen wir uns auf einem Gaskocher Tütensuppe mit Reis oder Nudeln. Und natürlich packen wir reichlich Schokolade ein.

Am ungemütlichsten wird es, wenn wir mal aufs Klo müssen. In der Antarktis dürfen wir nichts zurücklassen, die Natur soll so unberührt wie möglich bleiben. Wenn man nur Pipi muss, kommt das in »Pullerflaschen«. Fürs große Geschäft haben wir einen Eimer mit einer Tüte. Die vollen Tüten und Pullerflaschen nehmen wir wieder mit zur Station, wo sie in großen Containern landen, die irgendwann zurück nach Deutschland gehen. Aber jetzt drückt mir erst mal die Daumen für mein Eis-Abenteuer!

24. Dezember 2022
Stille Nacht, helle Nacht
Stille Nacht, helle Nacht
Foto: Stefanie Arndt

Woran merkt man, dass Weihnachten ist? Für mich gehören zum Fest ein geschmückter Tannenbaum, ein paar Geschenke und Kerzenschein in der Dämmerung. Außerdem viel gutes Essen, bei dem ich mit meiner Familie und meinen Freunden zusammensitze. Und, wenn es ganz besonders schön werden soll, dicke Schneeflocken, damit es weiße Weihnachten gibt.

Schnee habe ich hier in der Antarktis zwar in rauen Mengen, doch ansonsten ist es am südlichen Zipfel der Welt gar nicht so leicht, in Weihnachtsstimmung zu kommen. Es ist zwar alles weiß, aber wenig gemütlich. Das liegt vor allem daran, dass es gerade nicht dunkel wird. Hier auf der Südhalbkugel ist Sommer, und die Sonne wird auch an den Weihnachtstagen nicht untergehen. Klar sieht es toll aus, wenn die Sonne über der eisigen weißen Landschaft schwebt und der Schnee glitzert. Nur passt diese Helligkeit überhaupt nicht zum Heiligen Abend oder der Heiligen Nacht.

Das bedeutet aber nicht, dass Weihnachten für mich ausfällt. Ich bin schon zum vierten Mal während der Feiertage auf Expedition und weiß, dass es einfach ein bisschen anders wird als die Feste zu Hause.

Das fängt schon mit dem Baum an. Tannenbäume wachsen in der Antarktis nicht, welche herzubringen wäre ein Riesenaufwand und ist sowieso nicht erlaubt. Die Antarktis ist einer der wenigen Flecken der Erde, wo die Natur fast unberührt ist. Und das soll so bleiben. Deshalb haben fremde Pflanzen hier nichts zu suchen. Statt eines duftenden Tannenbaums werden wir zu Weihnachten einen aus Plastik aufstellen, der wohnt immer hier auf der Neumayer-Station, das habe ich schon herausgefunden. Und ich vermute, wenn wir den an Hei­lig­abend schmücken und dazu vielleicht ein paar Weihnachtslieder hören, dann wird es doch noch stimmungsvoll.

Stehen wird der Baum in der Lounge, so heißt ein Raum, der so etwas wie unser Wohnzimmer auf der Forschungsstation ist. Es ist echt gut, dass es die ­Lounge gibt, denn unsere Zimmer sind sehr klein. In meinem ist Platz für vier Leute, anfangs habe ich es mit zwei anderen Frauen geteilt, gerade sind wir nur zu zweit. Wir schlafen in Stockbetten – ich versuche, immer unten zu liegen, weil ich Angst habe, oben herauszufallen. Wir haben zwei Schränke, zwei Stühle und einen Tisch. Und wenn wir alle gleichzeitig im Raum sind, wird es ganz schön quetschig. Zu Hause bin ich nicht sonderlich ordentlich, hier versuche ich, immer aufzuräumen. Sonst käme ich schnell nicht mehr in mein Bett – und meine Mitbewohnerinnen wären vermutlich auch sehr genervt, wenn überall mein Kram herumläge.

In der Lounge haben wir richtig Platz. Dort treffe ich mich mit anderen Leuten zum Quatschen. Wir haben auch viele Gesellschaftsspiele, außerdem einen Kicker, einen Billardtisch und ein Klavier. Neulich hat ein Kollege abends ein kleines Konzert gegeben. Das war sehr schön, und ich hab ihn schon gefragt, ob er auch zu Weihnachten für uns spielt. Macht er. Vielleicht bildet sich ja sogar spontan ein Chor. Ich wäre dabei und würde mitsingen!

Hinter dem Klavier ist mein Lieblingsplatz auf der Station: Dort stehen Sessel vor einer großen Fensterfront, durch die man Richtung Süden guckt. Da sitz ich total gerne und schaue in die Weite, am besten mit einem Stück Scho­ko­la­den­kuchen auf den Knien.

Was für einen Nachtisch wir zu Weihnachten bekommen, hab ich noch nicht herausfinden können. Aber der Koch hat mir zumindest schon verraten, was für ein Festessen er plant. Und, juchhu, das wird sogar ein bisschen so wie bei mir zu Hause. In meiner Familie haben wir eine richtige Weihnachtsessen-Tradition: Heiligabend gibt es immer Würstchen mit Kartoffelsalat, am Tag darauf immer Ente, am zweiten Feiertag immer Pute. Die Würstchen und die Ente werde ich hier auch bekommen, mit dem Kartoffelsalat wird es aber vermutlich nichts. Das liegt an einer weiteren Besonderheit des Alltags auf einer Forschungsstation.

Mitten in der Antarktis kann unser Koch sich nicht einfach ein tolles Menü überlegen und dann in ein Geschäft stiefeln, um die Zutaten zu kaufen. Es gibt hier keine Läden. Stattdessen wird die Forschungsstation einmal im Jahr, meist im Dezember oder Januar, mit Lebensmitteln beliefert. Würstchen und Ente hat unser Koch tiefgefroren reichlich beiseitegepackt, aber die Kartoffeln sind ein Problem. Es gibt zwar noch welche, aber die liegen schon eine Weile und sind außerdem mehligkochend. Aus dieser Sorte kann man Suppe oder Kartoffelbrei machen, im Salat aber würden sie matschig. Ich habe dem Koch vorgeschlagen, dass er doch Würstchen mit Nudelsalat machen kann. Nun lass ich mich überraschen.

Ohnehin ist es für uns schwierig, das Feiertagsprogramm zu planen, denn unsere Gruppe wurde gerade ordentlich durchgewirbelt. Mitte Dezember sind mehr als 20 Leute abgereist und dafür ebenso viele neue angekommen. Das ist ein bisschen so, als würde bei einer Klassenfahrt die Hälfte der Kinder abreisen und durch Schüler aus der Parallelklasse ersetzt. Die sind auch total nett, aber man kennt sich noch nicht so gut. Und natürlich wollen wir gern feiern, hatten aber kaum Zeit, uns gemeinsam etwas zu überlegen. Auf meinen bisherigen Weihnachts-Expeditionen waren wir immer eine feste Gruppe. Da haben wir Theaterstücke aufgeführt und Gedichte aufgesagt. Vielleicht lassen wir uns in diesem Jahr einfach spontan etwas einfallen.

Was ich sicher weiß: Ich werde mich schick anziehen. Ich habe extra für Weihnachten ein schwarzes Kleid eingepackt. Normalerweise laufe ich hier auf der Station nämlich in praktischen Outdoor-Sachen herum, manchmal auch einfach nur in meiner langen Woll-Unterwäsche. Dann muss ich, wenn ich ins Eis rausgehe, nur meine warmen Sachen drüberziehen.

Zu Weihnachten mache ich eine Ausnahme, na ja, eine halbe: Zum Kleid werde ich trotzdem meine bunten Wollsocken tragen, die hat meine Nachbarin in Bremen mir gestrickt. Auf Socken laufen die meisten hier herum, und zwar überall – in den Zimmern, in den Arbeitsräumen, sogar in der Messe, unserer Kantine. Da muss man auf Socken nur aufpassen, dass man nicht kleckert.

Und noch etwas weiß ich schon sehr genau: dass ich keine Geschenke auspacken werde. Der Paketbote beliefert die Neumayer-Station nicht, und Geschenke von zu Hause nehme ich nie mit. Das wäre auf der Hinreise noch mehr Gepäck gewesen. Den Platz kann man besser für Forschungsgeräte nutzen oder für ein paar frische Eier oder Äpfel.

Mein Geschenk wird ein Anruf zu Hause. Meinen Freund und meine Eltern zu hören, darauf freue ich mich schon, auch wenn wir nur kurz sprechen können. Wir sind rund 50 Menschen auf der Station, jede und jeder will telefonieren. Aber über unseren Satelliten können nicht alle gleichzeitig reden. Vielleicht auch besser so. Ich habe eigentlich nie Heimweh, aber wenn ich zu Weihnachten 14.000 Kilometer von meiner Familie entfernt bin, während sie bei Kerzenschein zusammensitzt, werde ich sie bestimmt vermissen.

Und dann? Nehm ich mir als kleinen Trost ein Stück Schokolade oder zwei oder drei. Denn das ist eine wirklich gute Sache bei so einer Expedition: Schokolade gibt es, wie den Schnee, in rauen Mengen. Sie ist die ideale Verpflegung für uns Forschende, wenn wir draußen sind: Schokolade gibt schnell Energie, und man kann sie gut mit ins Eis nehmen und lutschen. Ich habe in meinem Job sozusagen eine Lizenz zum Naschen. Und das nicht nur zu Weihnachten.

Aufgechrieben von Katrin Hörnlein

15. Dezember 2022
Das Wetter ist der Bestimmer
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt

Morgens aufs Thermometer oder auf die Wetter- App gucken, das machst du sicher auch. In der Antarktis ist die Wettervorhersage für mich enorm wichtig. Denn vom Wetter hängt ab, ob ich rausgehen und forschen kann.

Wenn es zu doll stürmt oder schneit, bleibe ich auf der Station. Starker Wind kann richtig unangenehm werden. Wenn das Thermometer –10 Grad Celsius anzeigt, kann es sich durch die kalte Luft wie –30 Grad anfühlen. Wenn ich an solchen Tagen doch draußen bin, muss ich jedes Fitzelchen Haut abdecken. Ich trage eine Maske und eine Schneebrille, damit ich mir keine Erfrierungen hole. Die sind richtig schmerzhaft, sie fühlen sich an wie Verbrennungen, und die Haut wird ganz weiß.

Arbeiten bei Wind ist auch schwierig, weil ich meine Messgeräte nicht ordentlich aufbauen und ablesen kann. Fällt dazu frischer Schnee, kann es draußen sogar gefährlich werden – bei einem so- genannten Whiteout. Wenn es bewölkt und dazu Schnee in der Luft ist, kann ich den Himmel nicht mehr von dem Eis, auf dem ich stehe, unterscheiden. Da verliert man schnell die Orientierung. Es fühlt sich an, als wäre die Welt verschwunden, echt unheimlich!

Ist es also am besten, wenn die Sonne scheint? Jein. An richtig sonnigen Tagen wird es hier auf dem Eis so warm, dass ich meine dicke Polarjacke ausziehen und im T-Shirt arbeiten kann. Aber gleichzeitig muss ich aufpassen, mir keinen Sonnenbrand zu holen, weil der Schnee das Licht reflektiert. Daher muss ich mir immer extradick Sonnencreme ins Gesicht schmieren.

Das beste Wetter für mich ist also: kein Schnee, kein Wind, Sonne mit ein paar Wolken. Dann düse ich, so schnell es geht, los – so wie alle anderen. Nach einem stürmischen Tag müssen wir oft erst mal unsere Schneemobile und Schlitten ausbuddeln. Aber das Gute ist: Gerade geht die Sonne hier nahe dem Südpol ja gar nicht unter, und es ist 24 Stunden hell. Ich könnte also sogar rund um die Uhr draußen arbeiten, weil es nicht dunkel wird. Manchmal verliere ich auch wirklich die Zeit aus dem Blick und merke erst, wie lange ich unterwegs bin, weil ich total müde werde. Aber irgendwie gehört Müdesein für mich zu meinen Einsätzen. Wenn ich schon hier unten in der Antarktis forschen darf, dann will ich die Zeit auch so gut wie möglich nutzen.

1. Dezember 2022
Nicht zu nah an die Pinguine ran!
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt

Was ich an meiner Arbeit hier besonders liebe: dass mich immer wieder Pinguine besuchen. Mehrere Tausend leben auf dem Meereis nahe der Forschungsstation. Allerdings muss ich mindestens fünf Meter Ab- stand zu ihnen halten. Gar nicht so einfach, denn Pinguine sind sehr neugierig und watscheln schon mal hinter mir her. Sie kennen die Abstandsregel natürlich nicht.

Wir Menschen haben sie erfunden, um die Tiere zu schützen. Sie sollen sich durch mich nicht irgendwelche Keime oder Bakterien einfangen oder gestört werden. Übrigens stehen nicht nur die Pinguine unter Schutz, sondern die gesamte Antarktis. Seit mehr als 60 Jahren gibt es sogar immer am 1. Dezember einen extra Antarktis-Schutztag. Denn bisher ist die Natur am Südpol fast unberührt – wenn wir Menschen Müll, Samen oder fremde Tiere einschleppen, könnte das großen Schaden anrichten. Klar, dass ich da nicht von mir aus näher an die Pinguine herangehe. Auf meinen Fotos kann ich sie ja später ranzoomen!

17. November 2022
Ankunft auf der Neumayer-Station
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt

Ihr habt wohl alle die Daumen gedrückt, dass meine Reise in die Antarktis glatt verläuft. Jedenfalls bin ich pünktlich am Freitagabend auf der Neumayer- Forschungsstation angekommen. Es gibt dort immer ein kleines Team von neun Leuten, das für 14 Monate im Eis bleibt und die Station am Laufen hält. Ich hatte mich total darauf gefreut, diese Kollegen zu sehen. Eigentlich nehmen wir uns in den Arm, wenn wir uns treffen, aber das ist wegen Corona nicht erlaubt.

Es ist ganz wichtig, dass man als Polarforscher gesund ist. Wir haben für Notfälle zwar einen Arzt auf der Station, aber der soll bestenfalls nichts zu tun haben. Zum nächsten Krankenhaus gelangt man nur mit dem Flugzeug.

Schon vor meinem Einsatz haben Ärzte mich von Kopf bis Fuß durch- gecheckt. Und damit ich kein Virus, vor allem nicht Corona, einschleppe, habe ich mich vor der Abreise fünf Tage lang zu Hause isoliert.

Auf der Forschungsstation mussten wir Neuankömmlinge in den ersten fünf Tagen Maske tragen und täglich zwei Corona-Tests machen. Soweit möglich, sollten wir uns von den anderen fernhalten: Essen in zwei Etappen, die Zimmer wurden nach Gruppen getrennt verteilt. Aber es ist nicht immer leicht, sich aus dem Weg zu gehen. So groß ist die Forschungsstation ja nicht.

Am Samstag nach der Ankunft mussten wir erst einmal einige Pflicht- stunden absolvieren. Wir bekommen lauter Sicherheitstrainings, wie wir uns auf der Station in Notfällen verhalten müssen, zum Beispiel wenn es brennt. Ein Feuer ist das Gefährlichste, was ich mir vorstellen kann. Wir müssten es ganz allein bekämpfen. Eine Feuerwehr gibt es in der Antarktis schließlich nicht.

Weil das Wetter am Wochenende so gut war, bin ich nach den Trainings noch direkt mit dem Schneemobil aufs Eis rausgefahren und habe meine ersten Bohrungen gemacht. Wir hatten -11 Grad Celsius, und ich habe leider nicht gut genug aufgepasst und mir den ersten Sonnenbrand geholt. Meine Haut darf sich nun erholen. Nach dem guten Wetter kam Wind, und jetzt werde ich erst mal auf der Station arbeiten.

9. November 2022
100 Tage im Eis
Foto: Stefanie Arndt
Foto: Stefanie Arndt

Wenn du diesen Text lesen kannst, bin ich schon fast am Südpol – hoffentlich. Mit etwas Glück sitze ich bald in einem kleinen Propellerflugzeug, mit dem ich die letzte Etappe zur Neumayer-Forschungsstation zurücklege. Wenn ich aber Pech habe und es stürmt, harre ich gerade jetzt vielleicht in einem Zelt mitten im Eis aus – direkt neben der Landebahn, von der mein kleines Flugzeug eigentlich starten sollte. Bei schlechtem Wetter kann es nämlich nicht abheben. Dann heißt es für Forscherinnen wie mich: abwarten, ins Zelt kriechen und in meinen dicken Polarschlafsack einmummeln. Du siehst, eine Expedition in die Antarktis ist wirklich ein Abenteuer!

Aber vielleicht klappt ja auch alles wie geplant, dann bin ich am Mittwoch, den 9. November in Bremen losgeflogen und komme nach Zwischenstopps in Oslo/Norwegen (um Forscher-Kollegen einzusammeln), Kapstadt/Südafrika (um Pause zu machen) und auf der antarktischen Forschungsstation Troll (um das große gegen ein kleines Flugzeug zu wechseln) am Freitagabend ans Ziel. Auf der Neumayer-Station werde ich bis März 2023 arbeiten und leben – gemeinsam mit rund 60 anderen Menschen.

Ich bin Meereis-Forscherin und Expertin für den Schnee am Südpol. Wir wissen bisher noch nicht viel über diese Region der Erde. Deshalb finde ich meine Arbeit auch selbst richtig spannend: Ich kann Dinge erforschen, die noch kein Mensch weiß. Und dafür bin ich obendrein an einem Ort, den nur wenige Menschen jemals besuchen können. Wenn ich mir das so vorstelle, fühle ich mich wie eine echte Entdeckerin.

Ich ziehe mehrere Schichten übereinander, um warm zu bleiben, wenn ich draußen im Eis bin. Ganz unten trage ich lange Wollunterwäsche und dazu warme Polarsocken. Darüber kommt eine Schicht aus ­Fleece, bestehend aus Latzhose und Jacke. Die äußere Schicht ist ein Schneeanzug. Zum Wechseln habe ich auch eine Schneehose und eine Schneejacke. Und für ganz kalte und stürmische Tage bekomme ich außerdem eine noch dickere Polarjacke mit einer riesigen Kapuze samt Pelz, die den Wind abhält.

Dann brauche ich noch Arbeitsschuhe mit Stahlkappen und gefütterte Polarstiefel. Außerdem verschiedene Mützen, Sonnenbrillen und Stoffmasken für mein Gesicht. Denn wenn ich bei Sturm rausgehe, darf wirklich kein Fitzelchen Haut der Luft ausgesetzt sein. Man fängt sich leicht eine Erfrierung ein, und die tut weh, ganz ähnlich wie eine Verbrennung. Das weiß ich leider aus Erfahrung.

Wichtig ist, jedes Kleidungsstück anzuprobieren. Die Sachen müssen passen, wenn sie warm halten sollen. Ich bin sehr schlank, und da ist es manchmal nicht einfach, die richtigen Kleidungsstücke zu finden. Aber wenn eine Unterhose schlackert, wärmt sie nicht richtig. Inzwischen besitze ich eine eigene Garnitur Wollunterwäsche. So etwas wünscht man sich als Polarforscherin zu Weihnachten. Nicht fehlen dürfen die Handschuhe. Ich brauche meine Hände, wenn ich Löcher bohre oder Schneeproben in Gefäße fülle. Deshalb trage ich zwei Handschuh-Schichten: ein dünnes Paar unten, mit dem ich gut meine Geräte bedienen kann. Darüber ziehe ich gefütterte Schneehandschuhe oder superwarme Polarfäustlinge. Wenn die Ausrüstung zusammen ist, türmt sich ein ganz schöner Klamottenberg auf! Ach ja, und obendrauf kommen noch eine spezielle Isomatte und mein Polarschlafsack. Hoffentlich brauche ich den nicht schon auf der Hinreise!

Für meine Arbeit habe ich außerdem Expeditionskisten gepackt. Darin sind mein großer Eiskern-Bohrer mit Elektromotor, meine Lupen, viele Plastikflaschen, in denen ich geschmolzenen Schnee sammle, Notizbücher, Bleistifte und noch andere Werkzeuge.

Privates Gepäck nehme ich gar nicht viel mit. Ein bisschen normale Kleidung, die ich auf der Station trage. Auch was Schickes, denn ich werde ja Weihnachten am Südpol feiern, und das soll festlich werden. Immer dabei habe ich meinen Computer und meine Fotokamera. Die Bilder, die ich am Südpol mache, sind meine schönsten Erinnerungen. Dir schicke ich in den nächsten Wochen und Monaten auch immer mal wieder ein Foto. Was brauche ich noch? Meinen E-Reader (Bücher wären zu schwer), meine Kopfhörer, damit ich meine Mitbewohner nicht mit Musik und Podcasts störe, und meinen Lieblingstee. Wenn ich den trinke, gibt mir das ein bisschen Zuhause-Gefühl.

Ich bin 34 Jahre alt, war schon auf 13 Polar-Expeditionen, neun davon haben mich in die Antarktis geführt. Ich freue mich darauf, wieder auf dem Eis zu sitzen, in die weiße Weite zu schauen, im Hintergrund schnattert ein Pinguin vorbei, und über dem Horizont schwebt sogar nachts um vier Uhr die Sonne. Das sind sehr besondere Momente. Man kann es nur schwer beschreiben.

Aber so eine Expedition bedeutet auch immer Entbehrung. 100 Tage werde ich dieses Mal in der Antarktis sein, so lang wie noch nie zuvor. 100 Tage lang werde ich meine Freunde und meine Familie nicht sehen. Ich kann nicht mit ihnen zu Silvester aufs neue Jahr anstoßen. Meine Mama und mein Freund werden ihre Geburtstage ohne mich feiern.

Umgekehrt weiß ich, dass sie zu Hause sitzen und manchmal Angst haben, mir könnte etwas passieren. Besonders dieses Mal. Denn es ist nicht nur mein längster Einsatz, ich habe auch eine besondere Aufgabe: Im Januar werde ich für sechs Wochen die Station verlassen und mit einem Kollegen Richtung Pol fahren. Mehrere Wochen werden wir im Eis unterwegs sein, im Zelt schlafen und nicht erreichbar sein. Da bin sogar ich als erfahrene Polarforscherin aufgeregt.

Umso schöner, dass ich dich und all die anderen ZEIT LEO-Leser bei dieser Expedition als Mitforschende an meiner Seite habe. Ich bin gespannt, welche Fragen ihr mir schickt und was euch besonders begeistert. Also los, auf zum Südpol!

Aufgezeichnet von Katrin Hörnlein

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