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Vom Kind gelernt

Verhandeln

ZEIT ONLINE-Chefredakteur Jochen Wegner kennt alle Tricks. Er erprobt sie wöchentlich an seinen Kindern, 12 und 14 Jahre alt

Text: Jochen Wegner
Jochen Wegner
Jochen Wegner ist Chefredakteur von ZEIT ONLINE

Sollte ich rein zufällig in Atomgespräche mit dem Iran verwickelt werden, in Verhandlungen über einen griechischen Schuldenschnitt oder über ein transatlantisches Handelsabkommen, dann kann mich das nicht schrecken. Ich bin mit allen Wassern gewaschen, zäh, nervenstark und fintenreich. Weder sehr alte Diplomaten noch Immobilienentwickler oder Vorwerk-Handelsvertreter haben das harte Training durchlaufen, das ich wöchentlich genieße: Diskussionen über das Unterhaltungsprogramm mit meinen Kindern. Mein Sohn, 14, und meine Tochter, 12, verstehen sich so gut, wie man sich das nur wünschen kann. Sie spielen miteinander Schach, diskutieren wertschätzend und helfen sich bei den Schularbeiten. Ein Idyll. Bis ich folgende Frage stelle: »Was schauen wir heute eigentlich für einen Film?«

ZEIT Leo 3/2017 Von Kindern lernen: Verhandeln
Illustration: Laura Junger

Dann beginnen die transatlantischen Verhandlungen. Denn egal, welchen Film ich auch vorschlage – wenn mein Sohn dazu »Ja« sagt, wird meine Tochter mit »Nein« darauf antworten und umgekehrt. So kommt es, dass das Aushandeln des perfekten Films oft länger dauert als der Film selbst.

Im Laufe der Jahre konnte ich die Strategien verfeinern, um die Ja-Nein-Regel zu brechen: Bestechung (»Wenn Pferdefilm, dann Essen beim Lieblingsjapaner«), Drohung (»Wenn keine Einigung, dann Geschirrspülen«), scheinbarer und tatsächlicher Verhandlungsabbruch (»Gut, dann schauen wir eben nichts«), bilaterale Gespräche im Hinterzimmer (»Sei doch nett zu deiner kleinen Schwester!«), diktatorische Ansagen (»Star Wars!«), komplexe Vertragswerke (»Wenn wir heute einen halben Pferdefilm schauen, können wir morgen zwei Drittel Science- Fiction sehen, es sei denn, wir gehen zum Lieblingsjapaner und danach zum Eisstockschießen«), statistische Argumente (»Wir haben in zwei Wochen nur zwei Pferdefilme gesehen, aber drei Science- Fiction-Streifen. Ergo Pferdefilm«) sowie paradoxe Intervention (»Sissi?«). Dass wir am Abend dann doch gelegentlich einen Film schauen, ist ein kleines strategisches Wunder. Vielleicht fasse ich meine Erkenntnisse bald in einem Grundlagenwerk zusammen. Es dürfte an Machiavelli, Sun Tsu und Carl von Clausewitz heranreichen. Mindestens.

In jeder FAMILIENZEIT erzählen ZEIT-Redakteure, was sie von Kindern lernen.

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