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Vom Kind gelernt

Sich entschuldigen

Fehler einzugestehen findet der ZEIT-Redakteur Jan Schweitzer nicht leicht. Besser als er können das sein Sohn und seine Tochter

Text: Jan Schweitzer
Jan Schweitzer
Jan Schweitzer ist Redakteur im Ressort Wissen der ZEIT

Ein Streit mit meinen Kindern trifft mich immer wieder wie aus dem Nichts. Ich meine damit nicht die kleinen Zickereien, die es desöfteren gibt, nein: Es geht um diesen Riesenvulkan von Streit, der auf einmal mit einer Heftigkeit ausbricht, dass das ganze Viertel etwas davon hat. Da hagelt es plötzlich Vorwürfe von meiner Tochter, 10, weil ich, nachdem sie eine halbe Stunde lang verzweifelt über ihren Hausaufgaben gebrütet hat, vorsichtig nachfrage, ob ich ihr helfen könne. Oder mein Sohn, 13, äfft mich nach, nachdem er zuvor vergeblich versucht hat, eine Diskussion darüber anzufangen, dass man ein Fifa 17-Spiel auf der Xbox nicht einfach so beenden könne.

ZEIT Leo 3/2017 Von Kindern lernen: Sich entschuldigen
Illustration: Laura Junger

Jeder Streit dieser Art raubt mir gefühlt ein Lebensjahr. Aber jedes Vertragen hinterher schenkt mir eins zurück, mindestens. Und das liegt daran, dass meine Kinder mir so unglaublich weit voraus sind, wenn es darum geht, sich zu entschuldigen. Entschuldigen: Das klingt nach einer Nebensache, nach einem Wort, einem Satz, schnell dahingesagt. Aber richtiges Entschuldigen ist so viel mehr. Der erste Schritt passiert oft noch von allein: Man merkt, dass einem der Streit leidtut, egal, ob man sich im Recht fühlt oder nicht.

Der zweite Schritt aber ist unheimlich schwierig: Man muss sich einen Ruck geben und sich entscheiden, zum anderen zu gehen und sich vor ihm kleinzumachen. Bis dahin komme ich ganz oft nicht, wenn ich mit meinen Kindern gestritten habe. Sie aber schon. Sie kommen sogar noch weiter – sie kommen zu mir, umarmen mich und entschuldigen sich. Nicht oberflächlich, sondern ganz ehrlich. Oft tun sie das auch dann, wenn ich der Auslöser des Streits war, und eigentlich immer, wenn sie es waren. »Es tut mir leid, Papa, dass ich ...« – so beginnen die Entschuldigungen meist, und mit »Ich weiß auch nicht genau, warum ich ...« enden sie häufig.

Mit der Zeit müsste ich eigentlich von meinen Kindern gelernt haben, wie das mit dem Entschuldigen geht. Ich mache es aber noch immer zu selten. Vielleicht steckt dahinter mehr als nur der Unwille, mich zu ändern. Vielleicht ist es auch die Angst davor, dann auf etwas verzichten zu müssen: auf die Entschuldigungen meiner Kinder. Mir würde wirklich etwas fehlen.

In jeder FAMILIENZEIT erzählen ZEIT-Redakteure, was sie von Kindern lernen.

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