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Vom Kind gelernt

Fußball analysieren

Der ZEIT-Redakteur Alexander Cammann dachte, er könne mitreden. Doch sein Sohn, 12 Jahre, kennt sich nicht nur auf dem Rasen besser aus

Text: Alexander Cammann
Alexander Cammann
Alexander Cammann ist Redakteur im Feuilleton der ZEIT

»Papa, du hast wirklich keine Ahnung«, stöhnte mein Sohn und rollte genervt mit den Augen. Unser Gespräch kreiste um eine Grundsatzfrage, die unbedingt ausdiskutiert werden musste: Woher kam das Zerwürfnis zwischen Thomas Tuchel, dem inzwischen Ex-Trainer von Borussia Dortmund, und der Vereinsführung um Hans Joachim Watzke? Meine Argumentation speiste sich aus der eher sporadischen Lektüre von Sportteilen in Zeitungen, gepaart mit einem 30-jährigen Vorsprung an Lebenserfahrung. Sie zielte auf die Leistung des Trainers: Die sei zwar ziemlich gut gewesen, aber letztlich doch nicht gut genug für die absolute europäische Spitze. Das hätten Watzke und Co. begriffen und daher diesen blöden Konflikt mit Tuchel inszeniert. Gut, ich war nicht dabei gewesen – aber mein Sohn schließlich auch nicht. Also ein klares 0 : 0.

ZEIT Leo 4/2017 Von Kindern lernen: Fußball analysieren
Illustration: Laura Junger

Es ist allerdings ein Wagnis, einen zwölfjährigen Werder-Bremen-Fan(atiker) und manischen kicker-Leser mit der fragilen väterlichen Autorität von rasch improvisierten Annahmen auskontern zu wollen. Mein Sohn ist fußballtechnisch derart versiert, dass er auch die – gewiss dramatischen – Ereignisse vom vergangenen Spieltag in der dritten englischen Liga interpretieren kann. Prompt setzte er zu einem detaillierten Vortrag über die tatsächlichen Leistungen Tuchels innerhalb von nur zwei Jahren an, von denen ich nicht einmal ein Viertel hätte nennen können. Und er krönte ihn mit einem finalen Volleyschuss: »Die haben halt emotional nicht zueinandergepasst!

Klopp und Watzke dagegen früher, die waren echte Kumpels!« Es ratterte in meinem Hirn. Die Theorie, die ich hier präsentiert bekam, erschien mir pädagogisch ziemlich problematisch: Kumpels und Emotionen sollten für den Erfolg entscheidender als Leistung sein? Herrje, was hatte mein Sohn da bloß in sieben Jahren bei Werder in diversen Kindermannschaften gelernt?! Und überhaupt: Passt Carlo Ancelotti etwa emotional zu Uli Hoeneß? Rasch jedoch merkte ich, dass mein Sohn eigentlich gar nicht so falschlag. Er hatte mich an eine ewige Wahrheit erinnert: Die kühle, rationale Logik von Leistung, sie gilt weder für den Erfolg auf dem Fußballplatz noch für den im Leben. Oft entscheiden stattdessen am Ende doch die Gefühle – zum Glück.

In jeder FAMILIENZEIT erzählen ZEIT-Redakteure, was sie von Kindern lernen.

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