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Vom Kind gelernt

Älter werden

Frank Werner, ZEIT Geschichte-Chefredakteur, würde gern die Zeit anhalten. Seine Tochter hingegen plant ihren nächsten Geburtstag seit dem letzten

Text: Frank Werner
Frank Werner
Frank Werner ist Chefredakteur des Magazins ZEIT Geschichte

Bald feiert meine Tochter ihren elften Geburtstag. Sie feilt schon eifrig am Programm für diesen Tag. Genau genommen hat die Planung vor einem Jahr begonnen, unmittelbar nach ihrem zehnten Geburtstag. Seitdem besprechen wir regelmäßig die Abfolge der Spiele, variieren die Listen für »Essen«, »Trinken« und »Knabbern«, die seit Monaten an unserem Kühlschrank hängen, und diskutieren, ob Zelten bei sintflutartigem Regen wirklich die allerbeste Idee wäre. »Kein Problem!«, meint meine Tochter. Sie freut sich riesig auf ihren Geburtstag. 

ZEIT Leo 6/2018 Von Kindern lernen: Älter werden
Illustration: Laura Junger

Meine Vorfreude ist gedämpfter. Nicht weil meine Erinnerung an die letzte Übernachtungsparty so hellwach ist, wie die sechs Mädchen es waren, als sie neue Bestzeiten im Nichteinschlafen erplauderten. Meinen Versuch, zu fortgeschrittener Stunde väterliche Autorität zu demonstrieren, beantwortete meine Tochter, indem sie das Kinderzimmer mit feierlicher Stimme zur »elternfreien Zone« erklärte. Ich beneide Mütter und Väter, die es schaffen, mit ihren Kindern an einem einzigen Sonntagnachmittag zu feiern. Aber das ist es nicht, was mich umtreibt.

Die Lage ist ernst: Meine Tochter wird älter. Neulich hat sie zum ersten Mal den Abschiedskuss verweigert, bloß weil ihre Freundinnen zugeschaut haben. Früher streifte sie einfach den Badeanzug über, inzwischen dauert es eine halbe Ewigkeit, bis sie sich unter seltsamen Verrenkungen wieder aus dem Handtuch wickelt. Und das ist erst der Anfang. Bald wird sie wahrscheinlich Jungs zu ihrem Geburtstag einladen. Ich sehe sie schon vor mir, rotzfreche Bengel in Bayern-Trikots. Ich würde die Zeit gerne anhalten. Ehrlich gesagt will ich das schon, seit ich selbst mit 30 in einen Geburtstagsfeierstreik getreten bin und mir angewöhnt habe, Fragen nach meinem Alter eher vage zu beantworten. Ich gehe mit dem Thema eben etwas verkrampfter um als meine Tochter.

Ich bewundere sie für ihre Lust am Älterwerden, für ihre Schwerelosigkeit in der Zeit. Von dieser Unbefangenheit hätte ich gerne etwas zurück. Dabei wurde ihre Leichtigkeit in den letzten Wochen auf eine harte Probe gestellt: Die Sommerferien sind auch für meine Tochter viel zu schnell vergangen. Fliegende Zeit. Ein kleiner Vorgeschmack? Im Gegenteil: »Papa, wie lange ist es noch bis zu meinem Geburtstag?«

In jeder FAMILIENZEIT erzählen ZEIT-Redakteure, was sie von Kindern lernen.

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